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  • stefanieberner

Über Dich - die Scham & was sie tut

Eine Geschichte von Vielen


Ich habe diesen Text vor bald 2 Jahren geschrieben, und ich finde er hat immer noch grosse Aktualität – Vielleicht auch für dich? Oder deine Kinder? Oder „schwierigen“ Schüler?


Die letzten Jahre waren bei mir geprägt von vielen Fragezeichen. Starke Emotionen, die mich immer wieder schütteln, zähe Verhaltensmuster, die eigentlich aus heutiger Sicht wenig Sinn mehr ergeben. Der Prozess des Schreibens hilft mir, mich selber wieder zu verstehen, zu würdigen, mein Sein zu achten, meine Wahrnehmung und meine Lebensentscheide zu verstehen. Er hat mir geholfen, die Strategien zu erkennen mit denen ich meine Scham und Ohnmacht überdeckt habe. Und er hat mir vor allem gezeigt, dass alles, was mein Wesen ausmacht, alle Kräfte die ich brauche schon immer in mir angelegt waren. Dass ich goldrichtig bin und immer schon war.


Vielleicht erkennt sich die eine oder andere von euch darin selbst.


Im Wesen eines Baumes erkennst du das Universum

Oder wie ich das Schämen verlerne


Als ich ein kleines Mädchen war, konnte ich Minutenlang vor einem Baum,

auf einer Wiese oder an einem Waldrand stehen bleiben,

und ihn betrachten.

Ich sank in ihn hinein,

ich fühlte, roch und schmeckte ihn.

Ich roch die Träume von längst vergangenen Tagen,

fühlte die Ewigkeit in seinem Da-Sein.

Ich hörte das Lachen der spielenden Kinder von einst,

das lustvolle Seufzen der vom Wind berührten Blätter und den alten Greis,

der sich mit einem tiefen, erleichterten Ausatmen an seinem kraftvollen Stamm ausruhte.

Ich schmeckte die herbe Kühle der weichen Erde,

das zerfallende Laub, die Boten der Vergänglichkeit.

Magie versteckte sich in seinen Ästen und wisperte mir leise ein uraltes Lied in einer verborgenen Sprache, die nur ich verstand.

Ein Lied von der Zartheit spriessender Knospen,

Ein Lied vom Fliessen des Lebens durch Wurzeln, Stamm, Ästchen und Blätter.

Ein Lied der Erneuerung und Verwandlung, vom Kreislauf des Lebens.

Ein Lied, so wunderschön, so ergreifend,

dass es die tiefste Dunkelheit durchdrungen, das kälteste Herz zum Weinen gebracht.

Ich hatte damals keine Worte dafür, es WAR einfach.

Ich WAR einfach.


Bis ich eines Tages lernte, dass Menschen, die Bäume anstarren seltsam sind, dass sie als Kinder noch mit einem milden Lächeln als kleine Träumer bezeichnet - als Erwachsene dann als realitätsferne Spinner verspottet werden. Ich lernte, dass es keine Magie gibt und dass ein Baum keine grosse Bedeutung hat.


Ich lernte, dass es wichtiger ist still zu sitzen und mich unterzuordnen. Es wurde mir gesagt, dass ich „anders“ sei, als wäre es ein Schimpfwort. Etwas stimmte nicht mit mir. Und so fing ich an mich meiner-Selbst zu schämen und mir so eine unglaublich übermenschliche Mühe zu geben, um so zu sein wie die anderen. Ich gab mir eine solche Mühe mich anzupassen und meine kleinen Schultern spannten sich, der Kiefer verkrampft, die Augen suchend nach Bestätigung und Anerkennung meiner Mühen. Wenn ich mir doch schon so eine verdammte Mühe gebe alles „richtig“ zu machen und meine Seele verrate, so sagt mir doch wenigstens, dass ich es gut gemacht habe!!!


Ich hielt es nie lange durch, „Es“ brach immer wieder aus mir hervor. Der Trotz, wenn die Lehrerin mein Blatt zerriss weil ich nicht schön in die Scheiss-Kästchen schreiben konnte. Die Wut, wenn meine Zeichnung schlecht bewertet wurde, weil ich nicht das gezeichnet hatte, was gerade als schön galt. Die schlechte Note im Aufsatz, weil ich mich weigerte „Schnüerli“-Schrift zu schreiben. Obwohl ich sprachlich und inhaltlich eine grosse Gabe hatte.

Ich schmiss mit Stühlen, ich nannte die Lehrerin eine dumme Kuh, ich prügelte und schrie. Ich wurde „abgeklärt“ von Psychologen und Fachleuten. Ich bereitete meinen Eltern grosse Sorgen. Ich fing an mich zu schämen und mich schuldig zu fühlen. Ein Mädchen, dass sich prügelt, mein Gott, so eine Schande aber auch! Da müssen ja die Eltern alles falsch gemacht haben, das müssen ja Zustände sein! Wisst ihr was? ..... hmmmmm, das sag (schreib) ich jetzt lieber doch nicht!


Meine Eltern liebten mich in meiner Einzigartigkeit, sie haben mich geliebt wie ich bin, sie haben mein Wesen geachtet und behütet. Sie haben mich gelernt aufzubegehren, wenn mir Unrecht wiederfährt. Sie haben mich gelernt für mich und meine Träume zu kämpfen, mir nicht alles gefallen zu lassen. Doch auch sie haben sich irgendwann dem Druck der Normalität gebeugt um mich und die Familie zu beschützen.


Meine Eltern haben mich gelernt Schwächere zu beschützen. So habe ich einen Jungen, der mit mir in die Klasse ging und gemobbt wurde, mit meinen Fäusten verteidigt und wurde dafür..., 3 Mal dürft ihr raten? ...Bestraft! „Ich solle mich schämen, ein 7-Jähriges Mädchen, dass sich mit Fäusten prügelt!“

Jahre später ist der inzwischen erwachsen gewordene Junge auf meine Mutter zugegangen und hat ihr mit Tränen in den Augen erzählt, dass ich als einzige den Mut gehabt habe ihn zu verteidigen. Ich habe mich alleine gegen eine ganze Reihe von Mobbern entgegengestellt.

ICH war ein liebes Kind, mit einer lebendigen und zutiefst empfindsamen Seele, ein fühlendes, mitfühlendes, liebevolles, wildes, mutiges Wesen mit Träumen, Visionen, vielen Gaben und Talenten.

Und ich wurde damit nicht gesehen! Ich wurde korrigiert, belächelt, nicht für voll genommen, verurteilt und geradegebogen.

Aus Schuldgefühlen gegenüber meinen Eltern, aus Resignation gegenüber einem System, das meinen Ausdruck nicht versteht, aus Scham für mein Anders-Sein. --- habe ich mein Herz verschlossen, habe mich verleugnet, habe ich vergessen. Vergessen, dass die Bäume ein magisches Lied singen, vergessen, dass ich einfach gut bin wie ich bin. Ich habe angefangen mich selbst zu er-„ziehen“!

Schon im Alter von 9 Jahren habe ich diverse TO-DO Listen mit Selbst-Erziehung-Massnahmen gemacht, damit ich auch ja alles zufriedenstellend erledigt habe und nicht wieder alle enttäusche. Meine Eltern, meine Lehrer, meine Geschwister.

Ich habe mir selbst auferlegt ein „gutes“ Kind zu sein, was ja die Annahme voraussetzt, dass ich tief in meinem Wesen im Grunde „böse“ bin.

In der Schule habe ich unter anderem gelernt, dass ich böse bin, dass ich mich schämen muss für mein Sein und meinen Ausdruck. Ich habe gelernt, dass meine Bedürfnisse, meine Gaben und mein Ausdruck nicht verstanden werden.

So habe ich mich abgeschottet, mein Innerstes versiegelt. Ich habe angefangen in den grossen Wettbewerb einzusteigen, mir noch mehr Mühe gegeben möglichst gut, die Beste zu sein. Ich setzte mich andauernd unter Druck, wurde steif und „ehr“-geizig, was ja dann wenigstens als etwas Positives galt. „sich –Mühe--- zu--- geben“ ....... nur schon, dass Kinder dafür auch noch gelobt werden. Ja ich habe mir definitiv die volle Dosis Mühe gegeben, ich habs mir so richtig gegeben ... die Mühe. Braves Kind, gutes Kind! Vielen Dank aber auch!!!


Währenddessen beamte ich mich immer mehr in meine Traumwelten,.... aufgenommen und weggebracht von Aliens auf einen Planeten in einer anderen Galaxie und davon, dass diese mich so verändern würden in meinem Aussehen und meinem Sein, dass die Menschen mich, wenn ich zurückkommen würde, endlich lieben könnten wie ich bin.

Ich träumte immer und immer wieder davon, einfach gehen zu können, ich hatte solche Sehnsucht. Oder ich träumte davon, dass ich eines dieser Wolfskinder wäre, vergessen im Dschungel, aufgezogen von Tieren oder Ur-Einwohnern, glücklich und frei, ein Teil der Natur. Zusammen mit Menschen, die mich und meine Wahrnehmung verstehen, ja sogar teilen.


Längst hatte ich ein derart verzerrtes Selbstbild, dass ich mich nur noch als peinlich, unzulänglich, schuldig, böse, nicht in Ordnung, psychisch gestört und so weiter gehalten habe. Und das mit gerade mal 10 Jahren. Ich habe ganz viel Energie dafür aufgewendet, dass niemals jemand mein wahres, böses, peinliches Ich sehen kann. Ich habe mir im Laufe meines weiteren Lebens 1000 Masken aufgesetzt und Strategien entwickelt um meine Scham zu überdecken, zu umgehen, sie wegzumachen. Durch gute Leistung und Befriedigung der Bedürfnisse anderer, habe ich versucht meine Umwelt davon zu überzeugen, dass ich etwas Wert bin. Ich habe mich versteckt, abgeschottet, mich aufgelöst, zugedröhnt, fast umgebracht im Drogenrausch, Isoliert, Macht ausgeübt, um nicht Ohnmächtig zu sein, habe kontrolliert, perfektioniert, Druck gemacht, gekämpft, mich abgehärtet, mich überfordert, habe mich beweisen müssen....


Seitdem das kleine Mädchen der Sprache der Bäume gelauscht hat, sind viele Winter ins Land gezogen. Es war eine lange Zeit des Vergessens, ein schwarzes Tuch, das sich seitdem über den Zauber seines Wesens ausgebreitet hat. Die winterliche Starre und Kälte hat sie auch während der Sommer nicht verlassen,....

Ich bin jetzt 37 Jahre alt und ich habe die letzten Jahre damit verbracht, all das, was ich in der Schulzeit und danach gelernt hatte wieder zu verlernen. Es zu erkennen, zu würdigen, es abzulegen, die Trauer, die Wut und die Ohnmacht zu fühlen, und auch sie wieder gehen zu lassen ...


Und heute,

ja heute sitze ich manchmal wieder unter einem Baum

und er wispert mir ins Ohr ein schimmerndes Gedicht

von der Schönheit des Lebens und des Universums.

Ich fühle durch ihn die Gesetzmässigkeiten des Lebens, den Zauber des Seins.

Und nach und nach beginne ich mich wieder zu erinnern,...

mich wieder zu erinnern, wer und was ich bin.

Und ich öffne meine Sinne wieder für die verborgene Sprache der Bäume,

den Geruch der Vergänglichkeit, der Geschmack der Fruchtbarkeit,

das Gefühl dass alles verbunden ist und ich gleichsam,

wie der Baum genauso gemeint bin,

wie jetzt gerade in diesem Moment hier bin...

und es immer schon war.


So hat jeder von uns seine eigene Magie, seinen eigenen Zauber, seinen ureigenen Ausdruck und sein so- gemeint- sein,

meist vergessen seit ungezählten Jahren und Jahrzehnten,

verborgen, verschüttet und vergraben.

So tauch in die Tiefe und finde den Schatz,

der vergessen da leuchtet auf kühlem Grund

Dieses kleine grosse Leuchten, das du schon als Kind gespürt hast.

Dieses wundervolle Geheimnis,

vom Zauber deines Wesens <3


Das ist mein Geschenk an DICH heute




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